Caroline Gilby: “Der Balkan ist authentisch und einzigartig”
Caroline Gilby trägt den begeherten Titel Master of Wine und schreibt für den Wine Report, den Oxford Companion to Wine, Harpers, Decanter und Drinks International und Mitglied im Vorstand des Journal of Wine Research. Das Weinmagazin Vino & Fino bat um ein Gespräch mit der Expertin für Weine aus Südosteuropa, um der Identität dieser Region weiter auf die Spur zu kommen.
Vino & Fino: Wann hatten Sie Ihr erste Glas Wein und erinnern Sie sich an den entscheidenden Moment, der Sie dazu bewogen hat, sich ganz dem Wein zu widmen?
Caroline Gilby: Das erste Glas Wein, an dass ich mich erinnern kann war im Urlaub in Italien mit meinen Eltern, wahrscheinlich ein Asti-Spumante. Damals fühlte ich mich mit diesem Glas in meiner Hand sehr wichtig. Allerdings entschied ich micht für Wein als meine Berufung aus einem anderen Grund. Nach meiner Promotion in Botanik ging es in den Urlaub und ich genossen ein gutes Glas Wein und fragte mich: Warum sollte ich mein ganzes Leben hinter dem Mikroskop verbringen, wenn ich mit Wein zu tun haben kann. Danach fing ich mit der Arbeit im Weinverkauf an und ich habe diese Geschichte nie bereut.
Sie sind sehr oft auf dem Balkan und kennen die lokalen Weine, schreiben und lehren gar über diese. In gewisser Weise haben Sie sich dieser Region verschrieben. Wie kam es zu der Entscheidung sich auf diese Ecke der Weinwelt zu fokussieren?
Als ich mit dem Weinverkauf anfing, gab mir mein Chef den Auftrag den Markt Osteuropas zu erforschen und jene Weine auszuwählen, die später auf dem britischen Markt verkauft werden würde. Ich begann im Jahr 1989, gerade zu der Zeit, als sich das Regime zu ändern begann und der eiserne Vorhang fiel. Ich war nicht nur Zeugin einer neuen politischen Ära, sondern auch einer neuen Weinindustrie. Damals war Südosteuropa voller industrieller Massenproduktion und vergleichen Sie das mit Heute! Die Menschen im Westen neigen in der Regel viel zu oft dazu, Dinge zu verallgemeinern und sehen Osteuropa als einen homogenen Ort. Ich lernte schnell, dass hier eine große Vielfalt an Kultur, Tradition, verschiedenen Terroirs und Rebsorten besteht.
“Die Menschen im Westen neigen in der Regel viel zu oft dazu, Dinge zu verallgemeinern und sehen Osteuropa als einen homogenen Ort. Ich lernte schnell, dass hier eine große Vielfalt an Kultur, Tradition, verschiedenen Terroirs und Rebsorten besteht.”
Wie stehen die Chancen dieser Region auf dem Weltmarkt?
Im Moment gibt es eine sehr spannende Zeit, die viele Chancen für Weine aus dem Balkan eröffnet. In erster Linie, weil die Kunden schon mit den traditionellen Weinregionen vertraut sind und eine große Mehrheit denkt, dass die Neue Welt nichts originelles zu bieten hat. Der Vorteil des Balkans liegt in dessen einzigartigen Identität und Rebsorten sowie den authentischen Weinstilen. Bereits heute gibt es Tamjanika, Vranac, Malvasier auf dem britischen Markt. Daran muss man weiterarbeiten.
Einige Experten verwenden den Begriff “New Europe” für die Weine aus der Region Südosteuropa. Gleichzeitig erscheinen verschiedene Hersteller unter dem Namen “Balkan”. Welche Option ist besser, die gemeinsame Präsentation oder das herausstreichen der invididuellen Unterschiede der Länder?
Ich kenne die Antwort auf diese Frage nicht. Auf der einen Seite gibt es nur wenige potentielle Kunden im Westen, die genau über die Unterschiede zwischen Kroatien oder Bulgarien Bescheid wissen, oder gar welche Rebsorten dort wachsen. In diesem Sinne macht eine gemeinsame Präsentation Sinn.
Auf der anderen Seite ist es ziemlich schwierig, alles unter einem Dach zu präsentieren, weil die Länder und Regionen des Balkans recht unterschiedlich sind. Dennoch müssen sie lernen, zusammen zu arbeiten und gleichzeitig ihre Einzigartigkeit zu erhalten.
Was sind Ihrer Meinung nach die derzeit wichtigsten globalen Weintrends?
Trends sind etwas das Weinproduzenten immer verstehen müssen. Die Verbraucher suchen heute nach mehr Eleganz und Balance. Wenn wir über den Balkan sprechen, gibt es nach meinem Gefühl einige Erzeuger, die nicht verstehen, dass ein Qualitätswein nicht unbedingt mehr Körper, Alkohol, Tannin und Holz bedeutet. Die Menschen suchen nach mehr Raffinesse und Eleganz.
“Viele Weine in Großbritannien kommen aus bekannten oder vertrauten Regionen, aber kleine Produzenten mit ihren ursprünglichen Weine werden auch immer beliebter und zahlreicher. Dies sind gute Nachrichten für den Balkan.”
Wie wird sich die Region Balkan in der Zukunft entwickeln?
Ich wage die Prognose, dass wir mehr Weine aus dieser Regionen sehen werden. Viele Weine in Großbritannien kommen aus bekannten oder vertrauten Regionen, aber kleine Produzenten mit ihren ursprünglichen Weine werden auch immer beliebter und zahlreicher. Dies sind gute Nachrichten für den Balkan, denn jetzt will jeder lokale und autochthone Weine trinken. Sobald diese Weine eine entsprechende Anerkennung bekommen, wird es zu einer wahren Explosion der Weinindustrie führen.
Dankeschön! Das Interview wurde von Igor Luković geführt und ist im Original auf Serbisch in der Weinzeitschrift Vino & Fino erschienen. Wir bedanken uns für die Erlaubnis zum Nachdruck. Die hier erschienene Fassung wurde von Brana Bošnjak übersetzt und gekürzt.
Bildcredit Titelbild Caroline Gilby: David JW Bailey
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